NEUROPSYCHIATER

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ADHS und ‘Deficient Emotional Self-Regulation’ (DESR)

Andreas Müller (BrainARC) hat mich auf diesen Artikel bzw. Podcast von Russell Barkley aufmerksam gemacht:

DESR: Why Deficient Emotional Self-Regulation is Central to ADHD (and Largely Overlooked)

Darin zeigt Russell Barkley auf, dass Defizite der emotionalen Selbstregulation ein Kernsymptom der ADHS darstellen. Zwar werden diese Symptome heute bei den diagnostischen Kriterien nach ICD und DSM nicht berücksichtigt, wurden aber bereits in den ersten Beschreibungen der ADHS 1798 als “emotionale Frustration” beschrieben.

Die DESR umfasst dabei Defizite bei der Fähigkeit,

  • durch starke Emotionen getriggertes, situativ inadäquates Verhalten zu unterdrücken (emotionale Impulsivität),

  • sich nach starken Emotionen selbst zu beruhigen,

  • die Aufmerksamkeit vom Trigger weg auf andere Inhalte zu lenken und

  • zielführenderes Verhalten einzuleiten.

Die ADHS wird als Folge einer Funktionsstörung von Schaltkreisen verstanden, bei denen der frontale Kortex, das vordere Cingulum, das ventrale Striatum und auch die Amygdala wichtig sind. Diese Strukturen sind nicht nur für die Steuerung des Denkens und Verhaltens, sondern auch für die Emotionsregulation wichtig (letztendlich ist die Trennung von Kognition, Emotion und Verhalten künstlich). Es kann zwischen folgenden vier Schlatkreisen unterschieden werden:

  • Der “Was”-Schaltkreis: er verbindet den dorsolateralen Präfrontalkortex mit dem Striatum und ist v.a. mit Planen und Steuern beschäftigt, den exekutiven Funktionen im engeren Sinne.

  • Der “Wann”-Schaltkreis: er verbindet den dorsolateralen Präfrontalkortex mit dem Kleinhirn und ist für das Timing zuständig. Dabei geht es nicht nur um die Koordination der Motorik, sondern auch um die Planung der zeitlichen Abfolge von Handlungen.

  • Der “Warum”-Schaltkreis: er verbindet den Präfrontalkortex mit dem anterioren Cingulum und der Amygdala. Hier werden Gedanken mit Emotionen verknüpft und umgekehrt. Dieser Schaltkreis wird auch als der “Hot Circuit” bezeichnet, weil er - im Gegensatz zum “Was”-Schaltkreis oder dem “Cold Circuit” - die Emotionen ins Spiel bringt. Er ist wichtig für Entscheidungen, welche wir durch die emotionale Bewertung von Handlungsoptionen fällen.

  • Der “Wer”-Schaltkreis: er verbindet den Frontalkortex mit dem parietalen Kortex und vermittelt die Selbstwahrnehmung bzw. die Wahrnehmung von uns in der Welt.

Je nachdem, welcher Schaltkreis stärker beeinträchtigt ist, sind andere Symptome im Vordergrund: Defizite im Arbeitsgedächtnis und der Planung, Probleme mit dem Zeitmanagement oder eben Defizite bei der Emotionsegulation. Letztere umfassen emotionale Impulsivität, niedrige Furstrationstoleranz, Reizbarkeit, Wut etc.

Zusammen mit einer ADHS treten häufig Komorbiditäten wie die oppositionelle Verhaltensstörung (bei Kindern), die emotional-instabile Persönlichkeitsstörung, die bipolare affektive Störung und auch Angsterkrankungen auf. Im klinischen Alltag sind dennoch häufig nicht alle Diagnosekriterien für die jeweilige Komorbidität erfüllt und/oder die Betroffenen sprechen nicht gut auf die jeweilige Standardtherapie an. Der Grund dafür ist dann häufig, dass die Symptomatik primär Ausdruck einer DESR im Rahmen einer ADHS ist. Nicht selten wird zudem die emotionale Dysregulation im Rahmen einer DESR als bipolare affektive Störung fehldiagnostiziert. Bei Ersterer ist die Symptomatik typischerweise aber kurz andauernd. Durch äussere oder innere Faktoren werden Emotionen ausgelöst und können dann nicht genügend kontrolliert werden; es handelt sich um einer Störung der Top-Down-Regulation. Bei z.B. Depressionen handelt es sich um eine Bottom-Up-Fehlregulation limbischer Schaltkreise. Die Symptomatik ist nicht von aktuellen innern oder äusseren Faktoren ausgelöst und hält lange an.

Zum Schluss stellt Russell Barkley Überlegungen zur Behandlung der ADHS an:

  • Methylphenidat (Ritalin) verbessert die Emotionsregulation und führt damit zu einer Beruhigung der emotionalen Impulsivität. Dies kann allerdings auch zu einer zu starken emotionalen Dämpfung führen. Betroffene beklagen dann, dass sie emotionslos seien.

  • Kognitive Verhaltenstherapie zur Verbesserung der exekutiven Funktionen und Achtsamkeitstraining können die Emotionsregulation verbessern, insbesondere, wenn die Trainings mit der Medikation kombiniert werden.

  • Bei Kindern wird die Emotionsregulationsstörung besser mit Medikamenten behandelt. Ergänzend kann ein Verhaltenstraining der Eltern Sinn machen. Ziel ist dabei, dass es zu weniger Situationen kommt, die impulsive Emotionen triggern. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die Eltern selbst von einer ADHS betroffen sind.


Barkley R. DESR: Why Deficient Emotional Self-Regulation is Central to ADHD (and Largely Overlooked). https://www.additudemag.com/desr-adhd-emotional-regulation.