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"Die Kunst des klugen Streitgesprächs" von Reto U. Schneider

Reto U. Schneider

"Die Kunst des klugen Streitgesprächs"

Der Autor zeigt auf unterhaltsame Weise auf, wie es sein kann, dass wir alle immer wieder diskutieren, argumentieren und dabei - genauso wie die Gegenpartei - meinen, selbst recht zu haben.

Wie ist überhaupt möglich? Es handelt sich eben um Meinungsverschiedenheiten und nicht um ‘Wissensverschiedenheiten’ oder ‘Glaubensverschiedenheiten’. Wissen ist eine Auffassung, von deren Wahrheit man subjektiv überzeugt ist und die sich objektiv begründen lässt. Glaube ist eine Auffassung, die man subjektiv für wahr hält, aber objektiv nicht beweisen kann. Und die Meinung ist eine Ansicht, die sich weder subjektiv noch objektiv eindeutig bestätigen lässt.

In vielen Diskussionen und Debatten, ob live oder online, wird vergessen, dass man Meinungen vertritt. Wird nicht erkannt, dass eine Position einem Glauben und nicht einer Meinung entspricht, dann bleibt die Diskussion fruchtlos.

Daneben werden viele rhetorische Fehler begangen. Diese beschreibt der Autor und er zeigt auf, wie wir sie vermeiden können, um besser zu argumentieren:

  • Ockham’s Razor befolgen
    Dieses Prinzip - benannt nach Wilhelm von Ockham, einem bedeutenden mittelalterlichen Philosophen und Theologen - besagt, dass es unnötig ist, etwas Drittes anzunehmen, wenn zwei Annahmen eine Sache erklären. In der Medizin geht auf Theodore Woodward folgender Rat zurück, der dasselbe meint: Wenn Sie Hufgetrappel hören, denken Sie an ein Pferd, nicht an ein Zebra. Oder allgemein: bei verschiedenen Erklärungsmöglichkeiten, sollte man die einfachere bevorzugen.

  • Den Sagan-Standard befolgen
    Benannt nach dem Astronomen Carl Sagan besagt dieses Prinzip, dass ausserordentliche Aussagen ausserordentliche Beweise erfordern. Z.B. Verschwörungstheorien bleiben die ausserordentlichen Beweise schuldig.

  • Argumente mit Einzelfällen vermeiden
    ”Der menschliche Verstand neigt dazu, mit Geschichten, Einzelfällen und Anekdoten zu hantieren, und das gilt für alle Intelligenzstufen”, sagt Daniel Kahnemann. Einzelfälle und persönliche Erfahrungen sind aber keine guten Argumente, v.a. nicht, um Statistiken zu widersprechen.

  • Korrelationen nicht mit Kausalität verwechseln
    Wir neigen dazu, in zeitlichen Abfolgen und auch in zufälligen Korrelationen Kausalitäten zu sehen. Um von einer Kausalität ausgehen zu können, sollten starke Beweise wie Experimente verlangt werden.

  • Die wichtigste Grundlage für eine Meinung ist Wissen
    Erschreckend viel in dieser Welt verstehen wir nicht. Dennoch bauen wir Überzeugungen auf vermeintliches Verstehen auf. Fragen wie “Auf welche Weise hat man das herausgefunden?” oder “Wie funktioniert das eigentlich?” lassen Gesprächspartner und auch einen selbst rasch verlegen werden.

  • Sich an den wissenschaftlichen Konsens halten
    Wissenschaft ist mehr eine Methode als die Bezeichnung für gesichertes Wissen. So kann man für jede noch so bizarre Aussage einen Wissenschaftler finden, der sie vertritt. Sinnvollerweise hält man sich an den wissenschaftlichen Konsens, also an die Ansichten, die die Mehrheit der in einem Feld tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vertritt. Dieser Konsens kann sich auch als falsch erweisen; es ist aber wahrscheinlicher, dass er richtig ist als die Einschätzung einer einzelnen Person (denn unerkannte Genies sind selten).

  • Eine Meinung muss sich ändern können
    Wenn man auf die Frage, was nötig sei, um seine Meinung zu ändern, keine Antwort hat, so ist man kein offener Gesprächspartner. Hält man an einer Meinung unverrückbar fest und akzeptiert grundsätzlich keine Änderbarkeit, so handelt es sich um einen Glauben.- Oder nach Christopher Hitchens: “Was ohne Beweise behauptet wird, kann ohne Beweise verworfen werden.”

  • Den naturalistischen Fehlschluss vermeiden
    Als naturalistischen Fehlschluss bezeichnet man das Ableiten von Werten aus der Natur im Allgemeinen oder der Evolution im Speziellen. Ein Beispiel: Stillen ist der natürliche Prozess, Säuglinge zu füttern. Deshalb sollen Frauen ihre Kinder stillen und nicht Milchpulver verwenden.
    Der naturalistische Fehlschluss führt seinerseits schnell zum moralistischen Fehlschluss. Hat man moralische Werte aus der Natur abgeleitet, dann verbieten diese Werte, neue Erkenntnisse zur Natur zu akzeptieren: Es kann nicht sein, was nicht sein darf.

  • Konsequenzen berücksichtigen
    Was wäre, wenn ich falsch läge? Fällt man aufgrund einer Meinung eine Entscheidung, so sollte man sich um so sicherer sein, dass man sich nicht irrt, je dramatischer die Folgen sein könnten.


Schneider RU. Die Kunst des klugen Streitgesprächs: Wer diskutieren will, sollte diese Regeln kennen - Ein Crashkurs in Vernunft. München: Kösel-Verlag; 2023. 160 S.