Bessere Selbstregulation durch Training der Herzratenvariabilität (HRV)
Je nach Anforderung, die die Bewältigung einer Situation an uns stellt, sind wir aktivierter, “gestresster” oder entspannter, sowohl kognitiv als auch emotional und körperlich. So schlägt das Herz je nach Anforderungen langsamer oder schneller. Nun ist es aber nicht nicht nur wichtig, dass wir uns an eine grosse Breite von Anforderungen anpassen können sondern auch, dass wir rasch wechseln können: z.B. rasches Ansteigen der Herzfrequenz, wenn wir plötzlich wegrennen müssen, dann aber auch wieder rasche Erholung, wenn wir wieder in Sicherheit sind. Stressfolgekrankheiten sind häufig Ausdruck der Unfähigkeit, wieder “einen Gang zurückschalten” zu können. Die vegetativen Funktionen wie Herzfrequenz und Atmung werden durch das autonome Nervensystem gesteuert. Wie der Name sagt, funktioniert es autonom, ohne Zutun unseres Bewusstseins. D.h. aber nicht, dass wir seine Funktion nicht willentlich modulieren können. Eine Methode ist das Herzratenvariabiitätstraining. Es erlaubt eine Optimierung der Anpassung der autonomen Funktionen an die aktuellen Anforderungen.
Physiologische Grundlagen
Das Herz schlägt nicht fix in einer Frequenz. Je nach Bedarf an die Blut- bzw.- Sauerstoffversorgung der Muskeln und Organe schlägt es schneller oder langsamer. Der zeitliche Abstand zwischen zwei Herzschlägen ändert sich ständig. Diese Änderung der Herzfrequenz wird als Herzratenvariabilität (HRV) bezeichnet.
Wesentlich an der Regulation der Herzfrequenz ist wie gesagt das autonome (vegetative) Nervensystem mit Sympathikus und Parasympathikus beteiligt. Der Sympathikus beschleunigt die Herzfrequenz, der Parasympathikus verlangsamt sie. Das Zusammenspiel von beiden hält die Herzfrequenz in einem für die aktuellen äusseren und inneren Bedingungen optimalen Bereich. Je höher die Bandbreite der Herzfrequenz desto besser, da sich das Herz schneller und flexibler an sich ändernde Anforderungen anpassen kann.
Für das weitere Verständnis sind zwei Einflussfaktoren auf die Herzratenvariabilität wichtig: der Atem und der Blutdruck. Da beim Einatmen der Sympathikus und beim Ausatmen der Parasympathikus aktiviert wird, schlägt das Herz auch schneller beim Einatmen und langsamer beim Ausatmen. Für die Herzratenvariabilität ist allerdings der Parasympathikus wichtiger. Ist die paarsympathische Aktivität höher (mehr Bremse), verlangsamt sich der Herzschlag. Ist die parasympathische Aktivität niedriger (weniger Bremse), so beschleunigt sich der Herzschlag.
Neben der Atmung hat auch der Blutdruck einen Einfluss auf die Herzfrequenz. Steigt der Blutdruck (gemessen durch Barorezeptoren in der Aorta und den Karotiden), so sinkt die Herzfrequenz und die Blutgefässe werden weiter, womit der Blutdruck sinkt. Unterschreitet er einen Sollwert, steigt wieder die Herzfrequenz bzw. werden die Blutgefässe wieder enger. Dieser Zusammenhang wird auch als Baroreflex bezeichnet. Ein starker Baroreflex trägt somit wesentlich zur Herzratenvariablität bei.
Regelkreise besitzen eine Resonanzfrequenz, d.h. eine Frequenz des auf und ab, bei welcher der Ausschlag maximal wird (Bsp.: Brücke, die ins Schwingen gerät und bricht, wird sie in ihrer Resonanzfrequenz angestossen). Entsprechend existiert eine Atemfrequenz, bei der die Herzratenvarbiailtät maximal wird. Für die meisten Menschen liegt diese Frequenz zwischen 4.5 und 7 Atemzügen pro Minute. In demselben Bereich (6 pro Minute) liegt Anzahl Zyklen, in denen der Blutdruck pro Minute schwankt (Mayer-Wellen).
Bei 6 Atemzügen pro Minute können Atem, Blutdruckschwankungen und maximale Herzratenänderungn synchronisieren:
Die Herzratenvariabilität, also die Veränderung der Herzfrequenz in der Zeit ist ein Zeitsignal und kann mittels der Fourier Transformation in ein Spektrum umgerechnet werden. Je nach Regelmässigkeit der Herzratenvariabilität sieht das Spektrum anders aus:
‘Very low frequencies’ (0.005-0.05 Hz) sind Schwankungen mit bis zu 3 Zyklen pro Minute. Diese Komponente wird primär durch die Aktivität des Sympathikus beeinflusst ( Sympathikusfasern sind nicht myelinisiert und reagieren langsam).
‘Low frequencies’ (0.05 bis 0.15 Hz) sind Schwankungen mit 3 bis 9 Zyklen pro Minute. Änderungen in diesem Bereich sind Ausdruck des oben beschriebenen Baroreflexes (Mayer-Wellen).
‘High frequencies’ (0.15 bis 0.4 Hz) sind Schwankungen mit 9 bis 24 Zyklen pro Minute. Diese schnelleren Änderungen der Herzfrequenz sind Ausdruck paarsympathischer Aktivität bzw. der durch die Atmung bedingten Änderungen.
Wird mit einer konstanten Frequenz von ca. 6 Atemzügen pro Minute ein- und ausgeatmet, ist man körperlich entspannt und emotional ausgeglichen, so findet sich im Spektrum der Herzratenvariabilität nur ein Peak bei 0.1 Hz, den ‘low frequencies’ entsprechend. Dieser Peak wird auch als “meditator’s peak” bezeichnet, weil das isolierte Auftreten dieses Peaks Ausdruck des physiologischen Zustandes ist, wie er auch von erfahreneren Meditierenden erreicht wird. Der “meditator’s peak” bedeutet demnach auch, dass die Herzratenvariabiltät sinusoidal schwingt und zwar in der Frequenz, in der geatmet wird. Man spricht auch von Kohärenz bzw. von Kohärenztraining, wenn trainiert wird, die HRV nicht nur zu erhöhen, sondern auch mit der Atmung zu synchronisieren. Beim HRV-Kohärenz-Biofeedback wird das Erreichen einer hohen HRV und einer hohen Kohärenz belohnt.
Die HRV ist bis anhin eines der besten Masse für unsere psychophysiologische Gesundheit und damit Fähigkeit zur Selbstregulation sowohl vegetativer Funktionen als auch unserer Emotionen und unseres Verhaltens. Erklärt wird dies durch die bidirektionale Verbindung von präfrontalem Kortex und der parasympathischen Innervation des Herzens: Frontal-vagale Netzwerktheorie (der Vagus-Nerv enthält die Fasern des Parasympathikus).
So korreliert eine höhere HRV mit einer stärkeren funktionellen Verknüpfung zwischen präfrontalem Kortex und Amygdala als Ausdruck einer besseren Emotionsregulation. Auch konnte eine Assoziation von hoher HRV mit besseren Leistungen bei der Aufmerksamkeit, dem Gedächtnis und ziel-orientiertem Verhalten nachgewiesen werden.
Beruhigen wir unsere Gedanken und atmen wir langsam, so erhöhen sich die HRV und die Kohärenz. Dies kann hohen Blutdruck, Asthma, Reizdarmsyndrom und auch chronische Schmerzen günstig beeinflussen. Umgekehrt wirkt sich ein erhöhte HRV und hohe Kohärenz günstig auf Kognition, Emotionen und Verhaltenssteuerung aus.
Bedeutung des HRV-Trainings am Beispiel von Depressionen
Bei Depressionen findet sich typischerweise eine erhöhte Herzfrequenz bei gleichzeitig verminderter HRV. Die niedrige HRV ist korreliert mit einem hypervigilanten Verarbeiten von emotionalen Stimuli (Alarmzustand), was typischerweise als Funktion der rechten Hemisphäre angesehen wird. Eine niedrige HRV ist zudem assoziiert mit einer unteraktiverten präfrontalen Verarbeitung mit Defiziten der Aufmerksamkeit und der exekutiven Funktionen.
Weiter sind Fehlregulationen des Herzrhythmus mit Störungen des Schlaf-Wach-Rhtyhmus und des Appetits korreliert. Die transkutane Vagus-Nerv-Stimulation z.B. verbessert den Schlaf, was für einen afferenten (bottom-up) Effekt der Aktivierung des Nervus vagus spricht. Passend dazu konnte ein antidepressiver Effekt eine HRV-Bioffeedbacktrainings nachgewiesen werden.
Umgekehrt hat die Stimulation des dorsolateralen Präfrontalkortex mittels repetitiver Transkranieller Magnetstimulation (rTMS) einen Effekt auf die HR und HRV (top-down). Dies ist ein Ausdruck dafür, dass die Stimulation des Kortex über transsynaptische Aktivierung tiefere Strukturen (sgACC: subgenualer anteriorer cingulärer Kortex; Ins: Insula; Amy: Amygdala; Hyp: Hypothalamus) in ihrer Funktion moduliert und damit der Parasympathikus aktiviert und/oder der Sympathikus deaktiviert wird.
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass das Herzratenvariabilitäts-Training verschiedene günstige Effekte zeigt:
Bessere Aufmerksamkeit, exekutive Funktionen und Emotionsregulation
Verbesserung der Stimmung und des Schlafs
Besseres Gleichgewicht zwischen der Aktivität des Sympathikus und Parasympathikus und damit bessere Stressbewältigung
Gesundheit des Herzens, besser regulierter Blutdruck
Literatur
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