Ketamin-Infusionen
Wird ein Antidepressivum erstmals eingesetzt, so ist es bei etwa 50% der depressiven Patienten wirksam. Wechselt man bei Nichtansprechen das Antidepressivum, so ist beim nächsten Präparat die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens tiefer (30% beim 2. und 15% beim 3. Antidepressivum). Im Falle einer resistenten Depression sind die beobachteten Ansprechraten mit Ketamin besonders hoch, im Bereich von 50 bis 70%. Bei 30% der Patienten wird eine vollständige Remission (das vollständige Verschwinden depressiver Symptome) erreicht. Diese Zahlen sind vergelichbar mit denjenigen der repetitiven Transkaniellen Magnetstimulation (rTMS).
Das Enantiomer Esketamin zeigt dabei eine höhere Affinität und eignet sich deshalb besonders gut zur Behandlung, da mit der Hälfte der sonst notwendigen Dosis dieselbe Wirkung erzielt wird.
Ketamin wird seit den 1960er Jahren als Anästhetikum für Kinder und Erwachsene eingesetzt. In niedrigen Dosierungen zeigt die Substanz eine starke antidepressive und antisuizidale Wirkung. Es wird primär intravenös angewendet, wobei andere Anwendungen untersucht werden. In den Schweiz ist seit März 2019 ein Ketamin-Nasenspray (Spravato) zur Behandlung von behandlungsresistenter Depression zugelassen.
Der Wirkmechanismus des Esketamins ist nicht vollständig verstanden. Studienergebnisse legen nahe, dass Ketamin NMDA-Rezeptoren (N-Methyl-D-Aspartat-Rezeptoren) von GABA-Neuronen (gamma-Aminobuttersäure-Neuronen) blockiert, welche dann ihrerseits glutamaterge Neuronen weniger hemmen. Die vermehrte Glutamatausschüttung resultiert dann in einer erhöhten AMPA-Rezeptor-Simulation (alpha-Amino-3-Hydroxy-5-Methly-4-Isoxazo-Propinsäure-Rezeptor) des nachfolgenden Neurons.
Die verstärkte Stimulation der AMPA-Rezeptoren verursacht dann eine erhöhte BDNF-Freisetzung (brain-derived neurotrophic factor - Wachstumsfaktor) mit in der Folge Zunahme der Anzahl, Funktion uns Stärke der Synapsen. Wird die synaptische Plastizität bei Depression mit der nach Behandlung mit Esketamin verglichen, dann zeigt sich dass Esketamin zu einer erhöhten Regeneration geführt hat. Auf diesem Mechanismus dürfte deshalb der antidepressive Effekt beruhen.
Diese Mechanismus kann jedoch nicht das durch Esketamin induzierte dissoziative Erleben erklären. Es wird angenommen, dass es zusätzlich zu einer funktionellen Entkopplung von tiefen Hirnstrukturen wie dem Thalamus und der Hirnrinde führt, wodurch die verschiedenen Sinneseindrücke nicht mehr als Einheit empfunden, sondern fragmentiert wahrgenommen werden. Möglicherweise hat es auch einen Effekt auf das dopaminerge Belohnungszentrum. Zudem interagiert Esketamin auch mit Opioidrezeptoren (schwacher Agonist) und wirkt damit analgetisch. Peripher hemmt Ketamin die Wiederaufnahme von Katecholaminen, was zu einer gesteigerten Herzfrequenz, einem erhöhten Blutdruck und einem erhöhtem Herzschlagvolumen führen kann.
Tritt die antidepressive Wirkung auch viel schneller auf als bei herkömmlichen Antidepressiva, d.h. innerhalb von Stunden und nicht von Wochen, so dauert die Wirkung aber nach einer einzigen Infusion nicht lange an, so dass wiederholte Anwendungen - 1 bis 2 pro Woche über 10 Wochen oder mehr - notwendig sind. Auch die Behandlung mit dem Nasenspray erfolgt über viele Wochen bis wenige Monate. Immer sollte die Behandlung Teil eines gesamten Therapiekonzeptes sein.
Die häufigsten Nebenwirkungen während der Infusion sind Schwindel, verschwommenes Sehen, Bluthochdruck, Tachykardie oder Übelkeit, dissoziative Symptome (Störung normalerweise integrierter Funktionen wie Identität oder Wahrnehmung: z.B. das Gefühl, vom Körper getrennt zu sein), Halluzinationen oder Schläfrigkeit. Diese Symptome werden überwacht, können bei Bedarf durch spezifische Medikamente kontrolliert werden und verschwinden nach Beendigung der Infusion. Bei längerer Exposition kann es zu Toleranzen kommen.
Ketamin kann mit allen Arten von Antidepressiva, aber auch mit Lithium verabreicht werden. Allerdings sinkt die Wirksamkeit der Behandlung, wenn Benzodiazepine oder Antiepileptika eingenommen werden. In diesen Situationen kann die Behandlung nicht durchgeführt werden: Schizophrenie, Psychose, Epilepsie oder Schwangerschaft.
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