Überatmen - eine häufig nicht erkannte Ursache für psychische und psychosomatische Störungen
Atmen wir zu wenig, so sind wir nicht leistungsfähig. Und ganz ohne zu atmen, können wir nur wenige Minuten überleben. Entsprechend ist bei Atemlosigkeit und Atemnot die Angst vor dem Ersticken tief in uns verankert. – Ungünstig ist andererseits aber auch, wenn wir zu viel atmen.
Wenn z.B. aus Angst mehr geatmet wird als für die körperliche Aktivität nötig wäre (also zu tief und/oder zu schnell), so wird auch mehr Kohlendioxid abgeatmet, das Blut wird alkalischer (Gegenteil von sauer). Die Sauerstoffabgabe und die Dehnung der Gefässe werden gedrosselt, obwohl sich am lokalen Stoffwechsel nichts geändert hat und nicht mehr Kohlendioxid entstanden ist. Das durch die Angst ausgelöste und zum Fight or Flight-Reflex gehörende verstärkte Atmen ist also kontraproduktiv und führt zu einer schlechteren Sauerstoff- und Glukoseversorgung des Körpers und damit auch des Gehirns.
Durch die Alkalisierung des Blutes kommt es zudem zu Verschiebungen der Blutsalzkonzentrationen: das Kalzium im Blut wird an Eiweisse gebunden und es sinkt die freie Kalzium-Konzentration. Damit wiederum sind Nerven- und Muskelzellen leichter erregbar und es kommt neben Kribbeln auch zu Muskelkrämpfen und Fatigue (Erschöpung). Auch die glatte Muskulatur in den Gefässwänden, Bronchien und im Magen-Darm-Trakt ist betroffen mit in der Folge Zusammenziehen der Gesässe (Vasokonstriktion) und der Atemwege (,Bronchokonstritktion), was zu Übelkeit, Veränderung der Darmaktivität und Atemnot führt.
Alle Effekte zusammen können folgende Symptome zur Folge haben:
‘Lightheadedness’, ‘Dizziness’ und ‘Wattekopf’
Konzentrationsprobleme
Agitation, Störung der Emotionsregulation
Derealisation und Depersonalisation
Verschwommensehen
Herzklopfen, Druck auf der Brust
Atemnot, Kurzatmigkeit, Engegefühl im Hals, Asthma-Symptome
Trockener Mund, Übelkeit, Verdauungsstörung
Muskelverspannungen, Zittern
Kribbeln in Händen und Füssen
Alle diese Symptome können ihrerseits wieder Angst auslösen, womit ein Teufelskreis ausgelöst wird. Der beschriebene Mechanismus mit Abatmen von zu viel Kohlendioxid mit allen damit verbundenen Symptomen entspricht dem “Hyperventilieren’. Es muss aber nicht “dramatisch” sein wie bei der Hyperventilationsattacke, sondern kann auch ein subtiles, von aussen als solches nicht wahrnehmbares, zu schnelles und tiefes Atmen sein. Es wird auch als ‘Überatmen’ bezeichnet. Physiologisch meint beides dasselbe, beim Überatmen schwingt aber nicht die Beurteilung als Panikattacke mit.
Wird chronisch überatmet, versucht die Niere durch Ausscheiden von Bikarbonat das Blut wieder saurer zu machen. Damit verschlechtert sich aber beim chronischen Überatmen die Pufferfähigkeit von kurzfristigem CO2-Anstieg, d.h. bei einer kurzfristigen Anstrengung kann das anfallende CO2 nicht rasch genug abgeatmet werden, was zu einer schlechteren körperlichen Fitness und auch Erschöpfung führt. Um den Säuregehalt tief zu halten, wird in der Folge noch mehr überatmet.
Chronisches Überatmen kann zahlreiche Störungen auslösen, verstärken oder auch unterhalten:
Panikstörung
Phobien und generalisierte Angsterkrankung
Konzentrationsstörungen
Fatigue und Schlafstörungen
Migräne und Spannungskopfschmerzen
Epilepsien
Herzrhythmusstörungen
Asthma
Reizdarmsyndrom
Ob jemand überatmet, ist nicht einfach festzustellen. Mit Sicherheit kann dies nur durch die Messung des CO2 im Blut festgestellt werden (Kapnometer). Es gibt aber Hinweise, die für das Vorliegen von Überatmen sprechen:
Häufiges Gähnen und Seufzen
Atemnot beim Sprechen
Hektisches Einatmen
Atem anhalten
Tendenz zum Atmen durch den Mund
Anstelle eines Kapnometers kann mit Hilfe eines psychophysiologischen Belastungstests zumindest eine Fehlregulation der Atemfrequenz nachgewiesen werden. Therapeutisch können Atemübungen oder auch Biofeedback helfen. Führen dies jedoch nicht zu einer Verbesserung, so sollte eine medizinische Abklärung erfolgen, um eine körperliche Erkrankung als Ursache nicht zu verpassen.