Wie funktioniert tDCS?
Bis ins 19. Jahrhundert gehen die Versuche zurück, mit Hilfe von elektrischem Strom gezielt psychische Erkrankungen zu behandeln. In den 1880er Jahren beschrieb z.B. der deutsche Psychiater Wilhelm Tigges den Nutzen von transkraniellem Gleichstrom (tDCS) bei Depressionen. In den 1960er Jahren konnten u.a. Lippold und Redfearn den Effekt von tDCS auf Stimmung und motorische Aktivität nachweisen. Mit Aufkommen der Psychopharmaka trat die Erforschung bzw. der Einsatz der tDCS in den Hintergrund. Seit den späten 1990er Jahren wird die tDCS sowohl bzgl. der neurobiologischen Grundlagen als auch bzgl. der klinischen Einsatzmöglichkeiten wieder intensiv untersucht und einige Anwendungen haben sich im klinischen Alltag bewährt.
Die transkranielle Gleichstromstimulation tDCS ist dabei als nicht-invasive Hirnstimulationsmethode gut verträglich mit bis anhin keinen beschriebenen schwerwiegenden Nebenwirkungen. Es werden an zwei Stellen des Kopfes Elektroden (in aller Regel feuchte Schwämme) angebracht und mit Hilfe eines Stimulators ein schwacher elektrischer Gleichstrom von der Anode zur Kathode erzeugt. Im Kortex unter der Anode kommt es dabei zu einer Depolarisation der Nervenzellkörper, was zu einer erhöhten Erregbarkeit führt. Umgekehrt wird im Kortex unter der Kathode die Erregbarkeit gehemmt. Es kann somit gezielt die kortikalen Aktivität im Gehirn moduliert werden. Die Effekte lassen bei einmaliger Anwendung rasch (innerhalb von Minuten) nach. Nur bei wiederholter Anwendung - während 2 bis 4 Wochen täglich - können anhaltende Effekte erreicht werden.
Bildgebende Untersuchungen konnten z.B. zeigen, dass bei Depressionen Neuronen im linken dorsolateralan präfrontalen Kortex (DLPFC) unteraktviert sind. Legt man die Anode über dem linken DLPFC an, kann die neuronale Aktivität erhöht werden, was einen antidepressiven Effekt hat. Dieses Resultat ist konsistent mit dem antidepressiven Effekt der rTMS, welche ebenfalls über dem linken DLPFC angewendet wird. Je nach Erkrankung können die verwendeten elektrischen Felder gezielt angepasst werden.
Die transkranielle Gleichstromstimulation kommt v.a. zur Behandlung folgender Erkrankungen zum Einsatz:
Kognitive Defizite
Mittelschwere Depressionen bei Medikamentenüberempfindlichkeit
Nebenwirkungen, die auftreten können: Kribbeln und Jucken, lokale Rötung, Kopfschmerzen und unspezifisches Unwohlsein.
In diesen Situationen kann die Behandlung nicht durchgeführt werden: implantierte intrakranielle Elektroden, Cochlea-Implantat, früher erfolgte Operation am Gehirn, ventrikulo-peritonealer Shunt, Herzschrittmacher oder Defibrillator, Schwangerschaft.
Die Anzahl wissenschaftlicher Artikel in renommierten Zeitschriften hat auch bei der tDCS enorm zugenommen. Dies ist eine Auswahl wichtiger Arbeiten:
Lippold OC, Redfearn JW. MENTAL CHANGES RESULTING FROM THE PASSAGE OF SMALL DIRECT CURRENTS THROUGH THE HUMAN BRAIN. Br J Psychiatry J Ment Sci. November 1964;110:768–72.
Brunoni AR, Amadera J, Berbel B, Volz MS, Rizzerio BG, Fregni F. A systematic review on reporting and assessment of adverse effects associated with transcranial direct current stimulation. Int J Neuropsychopharmacol. September 2011;14(8):1133–45.
Tortella G. Transcranial direct current stimulation in psychiatric disorders. World J Psychiatry. 2015;5(1):88.
Bikson M, Grossman P, Thomas C, Zannou AL, Jiang J, Adnan T, u. a. Safety of Transcranial Direct Current Stimulation: Evidence Based Update 2016. Brain Stimulat. September 2016;9(5):641–61.
Brunoni AR, Moffa AH, Fregni F, Palm U, Padberg F, Blumberger DM, u. a. Transcranial direct current stimulation for acute major depressive episodes: meta-analysis of individual patient data. Br J Psychiatry J Ment Sci. Juni 2016;208(6):522–31.
Lefaucheur J-P, Antal A, Ayache SS, Benninger DH, Brunelin J, Cogiamanian F, u. a. Evidence-based guidelines on the therapeutic use of transcranial direct current stimulation (tDCS). Clin Neurophysiol. Januar 2017;128(1):56–92.